Die Zeit danach

Und die Frage, ab wann man denn eigentlich "Mama" ist

15.-16.01.2018

Und plötzlich liegst du da und bist eine Mama. Ohne, dass dich irgendwer auf diesen Moment vorbereitet hat und auch selbst bist du absolut nicht vorbereitet. Aber bin ich jetzt überhaupt eine Mama? Schließlich bin ich hier und mein Kind ist dort.

Während ich darüber noch nachdachte, verfiel ich in einen Tiefschlaf. Also dachte ich. Kennt ihr das, wenn ihr merkt, ihr schlaft jetzt ein und denkt gleichzeitig, ihr würdet nie wieder aufwachen? Genau so ging es mir. Es war mittlerweile 2 Uhr, meinen Mann hab ich in die Kneipe geschickt und ich lag alleine im Kreißsaal, wartete darauf, dass mich jemand zurück ins Zimmer schiebt. Es war irgendwie die gleiche Situation wie nach meinen Knie-OPs. Schnell mal operieren und wieder aufs Zimmer zum Ausschlafen. Schnell ein Kind bekommen und wieder zurück aufs Zimmer. Seltsam. Ich merkte nur im Halbschlaf, wie man mich losschob, wurde nochmal kurz wach, als die Schwester mein Abendessen vom Tag davor noch abräumte, was ich ja verpasst hatte (Immerhin hatte ich kurz vorher noch Sushi! So ohne vollen Magen ne Geburt stemmen.....) und schlief dann weiter. Als ich aufwachte, dachte ich, ich hätte 1000 Jahre geschlafen. Dabei war es gerade mal 6 Uhr, nichtmal meine Zimmernachbarin war wach und selbst von den Schwestern, die uns immer sehr zuverlässig und früh weckten, war natürlich noch keine Spur. Was sollte ich jetzt tun? Ich bin doch jetzt Mama? Oder? Immerhin hab ich mein Kind bis dato noch nicht länger als 2min gesehen. Würde ich es überhaupt erkennen? Werden sie mich in einen Raum voll Babys bringen und ich muss schauen, ob ich meins finde? Was, wenn ich es nicht erkenne? Was, wenn sich diese "Mutter-Kind-Bindung" erst später in der Schwangerschaft entwickelt und ich erkenne mein Kind deshalb nicht? Ich hätte dringend noch Schlaf gebraucht und mein Körper fühlte sich an, als hätte mich ein LKW einmal in allen Richtungen überfahren. So ne Geburt ist ja tatsächlich doch anstrengend.

Zwei Stunden später kam dann eine nette Schwester, die mich in einen Rollstuhl setzte und zur KIS fuhr. Die Abkürzung KIS hört sich doch gleich viel schöner an, als Kinderintensiv oder Neonatologie, oder?

Ich wurde über den Gang gefahren, vorbei an verschiedenen Räumen, in denen allen Schwestern saßen, mit kleinen Kindern auf dem Arm und sie fütterten.

Dann war da dieser Moment. Die Schwester, erklärte mir kurz, dass Niklas über Nacht Sauerstoffsättigungsabfälle hatte und er deshalb nun eine Atemmaske trägt. Außerdem eine Magensonde und ein Pulsoxymeter. Da lag er, Dieses kleine Wesen, zwischen all den Schläuchen, in einem Hightechbett mit Monitoren. Ein kleiner Minimensch, an dessen Bett der Name hängt, den wir ausgesucht haben. Unser Kind. Und ich bin die Mama dazu.

Ich dachte immer, wenn man ein Kind auf die Welt bringt, würde man tränenüberströmt da sitzen und Glücksgefühle würden den ganzen Körper überflutet. Und jetzt stand ich hier, vor diesem Bett, in einem großen Raum mit Brutkästen und so vielen Menschen, die alle am arbeiten sind und schaue dieses Kind an, dass bereits mehrere Stunden alt ist. Mir fehlte der Bezug, mir fehlte die Bindung und ich fühlte mich vollkommen fehl am Platz. Ich und eine Mama? Seine Mama? Nein.

Es hieß, ich solle meinen Oberkörper frei machen, sie geben mir mein Kind auf die Brust. Gefühlt hat das ganze Prozedere EWIG gedauert. Kabel entwirren, umklemmen, zur Seite legen. Und dann hatte ich ihn endlich. Den Zaubermoment. Den Moment, der mir die Kraft für die kommenden Tage gegeben hat. Zumindest irgendwann im Nachhinein betrachtet. Er lag auf meiner Brust, Haut an Haut, seine Atmung wurde ganz ruhig und wir schliefen beide ein.

Ich war glücklich!

Als ich wieder wach wurde, nahmen sie ihn mir wieder weg, weil Untersuchungen gemacht werden mussten. Ich habe mich anschließend nichtmal mehr getraut, zu verlangen, dass man ihn mir bitte wieder gibt. Bescheuert! Es ist doch mein Kind! Und plötzlich fühlte ich mich dann doch wieder nicht als Mama. Ich fühlte mich nicht als die Person, die für dieses Kind verantwortlich ist, sondern als Besucher. Wie ein Bekannter, der fragt, ob er das Baby auch mal halten darf. Ich wurde zum Mittagessen zurück auf Station geschickt und fühlte mich einfach nur schlecht. Würde mein Baby mich vergessen? Sind die Schwestern auf Station nicht viel mehr Mama für mein Kind als ich es bin?

Ich bekam Besuch. Ich. Denn ich war alleine. Niklas durfte nicht besucht werden, schließlich ist erst samstags und nicht montags Besuchstag. Wie soll ich den frisch gebackenen Omas und Opas erklären, dass sie ihr Enkelkind erst Tage später zum ersten Mal sehen dürfen? Ich stand den Rest des Tages neben seinem Bettchen und streichelte ihn, bis mich eine Schwester fragte, ob ich ihn nochmal halten will. Wieso hab ich mir genau das nicht einfach verlangt?´? Ich bin doch seine Mama! ICH brauche doch eigentlich keine Erlaubnis, mein Kind berühren zu dürfen. Aber es fühlte sich so an.

Bereits am nächsten Tag hatte ich Routine. Zumindest war ich aus meiner Trance aufgewacht.

Zur KIS stiefeln, klingeln "Hallo, hier ist die Mama von Niklas", reingehen, "Können sie mir bitte mit den Kabeln helfen, ich möchte mit meinem Kind kuscheln", weiterschlafen. Es war gerade mal der zweite Morgen und es fühlte sich tatsächlich an wie Routine. Mein Selbstbewusstsein war wieder da und den kompletten Tag verbrachte ich, mit kurzer Essenspause auf der KIS. Mir zu sagen, dass die Zeit nun rum sei hätte sich niemand getraut. Ich bin hier schließlich die Mama und ich entscheide hier schließlich für mein Kind. Punkt.

Vermutlich hätte auch niemand überhaupt daran gedacht, mir zu sagen, dass ich Niklas ins Bettchen zurücklegen soll. Aber das Selbstbewusstsein tat mir in diesem Moment trotzdem gut.


17.-24.01.2018

Auch der dritte Morgen lief so ab. Langsam aber sicher kam dieses Muttergefühl auf und ich dachte, dass ich so nun noch etwas länger weitermachen kann. Dann fiel allerdings der Satz "Frau E,, sie werden heute entlassen".

Ich; entlassen? Ich soll gehen? Mein Kind bleibt aber hier?

Es hieß, es gäbe die Möglichkeit, auch ein Zimmer im Krankenhaus im oberen Stockwerk zu beziehen. Aber was hätte es geändert? Trotzdem hätte ich immer wieder zur KIS gehen, klingeln und irgendwann wieder zurück gehen müssen. Die Möglichkeit, die Nacht gemeinsam mit meinem Kind zu verbringen, bietet eine Intensivstation eben nicht.

Ich entschied mich also nach Hause zu fahren. Ich dachte mir, bisschen Kraft tanken. Am gleichen Abend fand ein länger geplanter Kartenvorverkauf statt, den ich während meines Krankenhausaufenthaltes irgendwie mit Müh und Not noch weiter geplant hatte und vieles abgeben musste. Es war mir dann irgendwie ein Bedrüfnis, dabei zu sein, wenn man schon "Schuld" daran ist, dass alles etwas chaotisch lief.

Dieser Abend war der mit Abstand Schlimmste der kompletten Krankenhauszeit. Wir wohnen in einem Dorf. Jeder kennt Jeden. Und all diese Menschen vor Ort kamen, umarmten mich und beglückwünschten mich. Mich? Beglückwünschen? Für was?

Man kennt das ja, jemand wird Mama, sie fährt mit Kinderwagen vor, alle glotzen wie die Geier rein mit einem "Oh wie süß" und dann wird die Mama beglückwünscht. Ich fand das schon immer schlimm und bevor ich einen Blick in einen Kinderwagen mit einem frisch geschlüpften Baby werfe, beglückwünsche ich zuersteinmal die Mama, frage wie es ihr geht und schaue dann nach dem Baby. Und jetzt stand ich da, ohne Baby im Kinderwagen und ohne Baby im Bauch und man gratuliert mir. Mit jedem Glückwunsch zerriss mein Herz ein bisschen mehr und ich fühlte mich noch weniger als Mama, als sowieso schon. Den Menschen sei an dieser Stelle absolut kein Vorwurf gemacht! Ich hätte einfach zuhause bleiben sollen, aber ich wollte die Ablenkung.

Schlimmer wurde es nur, als ich dann nach Hause fuhr. Ich parkte vor der Tür, sah dass mein Mann ebenfalls nicht zuhause ist und ich weinte. Das erste Mal seit Tagen. Ich saß in meinem Auto und fühlte mich einfach nur leer. Kein Baby im Bauch, kein Baby in der Babyschale auf dem Rücksitz, kein Mann zuhause. Niemals habe ich mich mehr alleine gefühlt als in diesem Moment. In diesem Moment flossen auch ungefähr alle aufgestauten Tränen der vergangenen 6 Tage.

Ich schlief einfach nur verdammt schlecht in dieser Nacht und machte mich gleich morgens auf, ins Krankenhaus. Ab diesem Tag ging mein Tagesablauf:

- aufstehen, ins Krankenhaus fahren, kuscheln, schnell Mittagessen, kuscheln, heimfahren, schlafen, aufstehen, ins Krankenhaus fahren........ Die Übergabe der KIS-Schwestern von Früh-/Mittag-/ und Nachtdienst habe ich zumindest jeden Tag verfolgen können.

Niemand, der nicht selbst in dieser Situation war, kann verstehen, wie unglaublich schlimm und herzzerreißend es ist, sein Kind bei fremden Menschen zurückzulassen. Menschen, die dem Kind näher sind als du selbst als Mutter. Menschen, die Verantwortung für dein Kind haben, mehr als du es haben darfst und kannst. Die nachts da sind, wenn dein Kind weint und die es kuscheln und warm halten, wenn du nicht da bist. Es gibt tausend Gründe, wieso Mutter und Kind nach der Geburt getrennt werden (müssen), aber trotzdem ist jede Minute, gerade in der so wichtigen Anfangszeit, einfach zu viel. Ja, man ist froh, wenn Menschen da sind und sich fürsorglich um dein Kind kümmern, wenn du es nicht kannst. Aber es zerreißt einen, wenn man eben nicht da sein kann.

An dieser Stelle sei aber gesagt, dass die Schwestern der KIS absolute Engel sind. Ja, die Eifersucht trieb mich, dass sie so viel mehr Zeit mit meinem Kind verbringen konnten als ich, aber für sie war klar, wenn die Mama des Kindes da ist, ist sie die Verantwortungsperson. Es wurde nicht groß gefragt, ob ich Windeln wechseln will, ob ich Fieber messen will, ob ich Füttern will. Es war völlig klar, dass ich als Mama das übernehme und sie als Krankenschwestern in dieser Zeit lediglich das machen, was ich als Normalo eben nicht leisten kann. Was mir im ersten Moment seltsam vorkam, ist doch eigentlich völlig klar und logisch. Wieso sollte eine Krankenschwestern das Füttern oder Wickeln übernehmen, wenn die Mutter des Kindes anwesend ist? Ich bin die Mutter, ich bin dafür verantwortlich. Und das war ein unglaublich schönes Gefühl, was mich über den Abend und das Gefühl des "Zurücklassens" hinwegtröstete.

Es hieß, sobald Niklas keinen Sauerstoff mehr braucht und keine Abfälle mehr hat, dürfte er auf die normale Kinderstation umziehen. Dort könnten wir dann auch endlich zusammen sein, weil ich mich als Begleitperson eintragen könne. Und damit begann dann das endlose Warten. Sätze wie "Sobald sie da sind, atmet er viel ruhiger und wir können den Sauerstoff ausschalten", tragen dann nicht unbedingt zur Geduld bei. Er brauchte keine Sonde mehr, er atmete selbstständig, hatte keine Abfälle mehr und doch konnten wir nicht umziehen. Warum? Weil angeblich kein Zimmer auf der Kinderstation frei war. Wie sehr ich für ein Zimmer kämpfen musste und dafür, endlich mit meinem Kind zusammen sein zu können...... "Frau E., es wird heute leider niemand entlassen. Es ist kein Zimmer frei."

Ich habe mehrfach nachgefragt, ich war vor Ort auf besagter Station. Ich habe gernervt, von vorne bis hinten. Aber ist es nerven, wenn man dafür kämpft, dass sein Kind mit seiner Mutter zusammen sein kann? Oder ist es egoistisch von mir, weil es dem Kind eigentlich egal ist und ich nur meinen eigenen Willen durchsetzen wollte?

Bis heute ist mir unbegreiflich, wie man mir sagen konnte, dass kein Zimmer frei ist, ich aber an unserem Umzugstag sehen konnte, dass ganze 3 Zimmer komplett frei waren.

Aber es war egal. Alles war egal. Denn es war der 24. Januar 2018 und 10 Tage nach deiner Geburt. Der Tag, ab dem ich endlich Mama sein durfte. Ich konnte morgens mit dir gemeinsam aufwachen, den ganzen Tag mit dir verbringen, abends mit dir einschlafen und mich nachts von dir wecken lassen. Ich konnte alle deine Windeln wechseln, dich umziehen und alleine füttern. Endlich war ich Mama, wenn auch mit 10 Tagen Verspätung.

24.01.-02.02.2018

Zu den restlichen Tagen im Krankenhaus will ich nicht mehr so viele Worte verlieren. Ich möchte zu dieser Zeit nur sagen, dass du, wenn du alleine klar kommst, einfach Pech hast. Oder Glück, wie man es sieht. Viele Schwestern habe ich in dieser Zeit jedenfalls nicht gesehen. Außer nachts, da kamen sie gefühlt stündlich, dann wenn wir beide seelenruhig schlafen wollten. Tagsüber waren wir in unserer Box eingesperrt (Niklas zwangsläufig und ich weil ich es so wollte) und niemand hat uns beachtet. Wir kamen eben klar. Wir brauchten keine Hilfe. Wir saßen einfach nur unsere Zeit ab.

Wer nun fleißig mitgerechnet hat weiß, dass der 02.02 nicht 36+0 entspricht. Dazu kann ich nur sagen, JA, ich habe uns 4 Tage früher auf eigene Gefahr selbst aus dem Krankenhaus entlassen. Dafür gab es viele Gründe. Ich musste mir leider von einem Arzt/einer Ärztin (die nähere Bezeichnung welche Position diese(r) hatte und auch das Geschlecht, behalte ich aus Gründen für mich) vorwerfen lassen, dass ich das Kindeswohl gefährde und sie sich eine Meldung beim Jugendamt vorbehalten, wenn wir 4 Tage früher gehen. In Details, was zur gleichen Zeit auf selber Station ablief, möchte ich nicht eingehen. Das lässt sich mit einfachem googlen rausfinden. Hätte ich das schon während unseres Aufenthaltes gewusst, wären wir schon früher gegangen. Es war also wohl dieser Mutterinstikt, der sich in den paar Tagen deutlich entwickelt hat. Und wer weiß, vllt hat es mein kleines Frühchen, mit noch sehr schwachem Immunsystem, letztendlich auch gerettet!? Ich weiß es nicht, ich weiß nur, dass wir von Kindeswohlgefährdung meilenweit entfernt sind und waren!

Wenn man mich heute fragt, was der schönste Tag meines bisherigen Lebens war, dann ist es nicht die Geburt meines Kindes, wie für viele andere. Es ist der 24.01.2018 und der 02.02.2018. Denn der 24.01 ist der Tag, ab dem uns wirklich nichts mehr trennen konnte. Ab dem ich endlich Mama sein durfte, mit allem was dazu gehört und der 02.02 der Tag, ab dem wir endlich eine Familie waren.

Ich weiß, dass es sich bei unserer Geschicht um "nur" knapp 3 Wochen handelt. Viele Frühchen müssen sehr viel länger im Krankenhaus bleiben und viele Eltern machen viel Schlimmeres durch.

JA!

Viele Familien gehen aber auch am gleichen Tag der Geburt mit einem gesunden Kind nach Hause und das sind die Familien, mit denen man sich zwangsläufig selbst vergleicht.

Diese hier, ist unsere Geschichte. Und jede Sekunde die eine frisch gebackene Mama von ihrem Kind getrennt sein muss, aus welchen Gründen auch immer, sind zu viel und hinterlassen Spuren.

Spuren, die nie so ganz verblassen.

Wir können nicht die Batterien aus der Uhr nehmen, um die Zeit anzuhalten. Sie läuft weiter. Gnadenlos! Und keine Sekunde kommt je wieder zurück.

 

Ich drück euch,

Ariela <3