4. Die Nebenwirkungen



Mit Nebenwirkungen ist es immer so ne Sache. Es war schon immer so, dass ich auf dem Beipackzettel nach den "Sehr selten"-Nebenwirkungen gucken musste, um zu wissen, was ich mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit an Nebenwirkungen über mich ergehen lassen muss. Doch die Nebenwirkungen hier, bei dieser speziellen Sache sind anders.

 

Äußerliche Nebenwirkungen

Das Krankheitsbild PCO äußert sich mit vielen verschiedenen Gesichtern. Stimmungsschwankungen bis hin zu depressiven Phasen, die für mich schlimm waren, die ich die meiste Zeit (nicht immer!) sehr gut vor meinen Mitmenschen verstecken konnte. Es gab Tage, an denen ich mich durch die Unfähigkeit meines Körpers das in meinen Augen einfachste der Welt - ein Kind zu zeugen - so nutzlos, wertlos und absolut unweiblich gefühlt habe, dass ich nicht aufstehen konnte. Ich konnte mich einfach nicht bewegen. An Uni war an solchen Tagen auch nicht zu denken. Damit wäre dann nun auch an alle "die studiert ja immernoch"-Lästermäuler erklärt, weshalb ich eben immernoch studiere.

Doch die schlimmsten Dinge für mich sind die, die die Krankheit unübersehbar machen, die aber niemand als Krankheit einordnet. Ich hatte noch nie wirklich Probleme damit, wenn über mich geredet oder gelacht wird. All das kann ich sehr gut mit mir selbst ausmachen und wegstecken. Ein Problem wird es allerdings dann, wenn ich nichts dafür kann und das trifft auf diese beiden Dinge zu:

Rapide Gewichtszunahme und übermäßige Körperbehaarung.

Das mit dem Gewicht kennt jeder irgendwie. Und ja, natürlich esse ich gerne und auch gerne mal viel und ungesund. Doch dass man selbst, wenn man einige Zeit nichts isst zunimmt, ist nicht normal, oder? Und ja, ich habe es probiert! Genauso wenig ist es normal, dass man zunimmt, wenn man sehr viel Sport treibt und sich gesund ernährt? Habe ich ebenfalls lange probiert. Du kennst mich und hast das nie mitbekommen? Tja, dann siehst du mal, wie viele Tricks man in dieser Zeit anwendet, nur um nicht aufzufallen. Dass man trotz der strengsten Diät zunimmt? Tja.... hallo PCO, hallo Hashimoto.
Und was ist mit übermäßiger Körperbehaarung? Das ist jetzt der Punkt an denen viele denken "Hör auf damit!!!!!" Aber nein!!! Es ist genau das, was PCO ist. Es ist genau das, womit sich Menschen mit dieser Krankheit jeden Tag mehrfach auseinandersetzen und genau das, was das Leben einer Frau bestimmen kann, ohne, dass sie es sich ausgesucht hat. Das sollte eben auch einfach mal gesagt werden und das musst du nun genauso schonungslos lesen, wie alles andere, wenn du dich entschieden hast, bis hierhin gekommen zu sein! Dir ist es unangenehm, das zu lesen und du ekelst dich? Dann denke nur eine Sekunde an die vielen vielen Frauen, die es betrifft!

Sprüche wie "Meine Haare wachsen schon wieder nach, während ich sie rasiere", die öfter aus meinem Mund kommen sind keine Übertreibung, sondern leider wahr. Sie sind überall. Ihr denkt jetzt wahrscheinlich "Dann entfern sie doch einfach", klar. Andere laufen zum waxing, doch selbst dort wachsen die Haare nach einer Woche wieder nach, obwohl es doch 6 Wochen halten soll!? Und während die Haare einfach überall sprießen und ich aussehe wie ein Bär, fallen mir die Haare auf dem Kopf büschelweise aus. Das eigentlich Schlimme daran ist aber nicht die Tatsache, dass ich Entzündungen vom vielen Haarentfernen an sämtlichen Körperstellen habe, die ich jetzt nicht weiter ausführen will und auch nicht, dass ich die Haare an machen Körperstellen so dunkel und dicht lasse wie sie sind, weil ich diese Körperstellen schlecht verstecken kann (damit meine ich die Arme ;) ;) ), sondern die Blicke der Menschen. Die Blicke, wenn du in der Sonne sitzt, die in deinem Gesicht festkleben, weil du ein paar kleine tiefschwarze Härchen beim Zupfen übersehen hast, die aus deinem Hals oder Gesicht wachsen und als Frau DA sicherlich nicht hingehören. Meine Peinlichkeitsgrenze ist relativ hoch, aber diese Blicke treffen, weil du als Einzige weißt, wieso es ist, wie es ist.

Verurteile niemals jemanden wegen seines Aussehens. Meistens hat es sich der jeweilige Mensch nicht selbst ausgesucht und in sehr sehr sehr vielen Fällen steckt wahrscheinlich etwas dahinter, was du nicht weißt!

Ich werde auf jeden Fall niemals mehr einen Menschen nach seinem Äußeren beurteilen. Zu dick, zu dünn, zu groß, zu klein, zu weiß, zu braun gebrannt, abgenommen, zugenommen...... Das sollte es sowieso in keinem Wortschatz geben, doch wir wissen doch alle wie wir Frauen sind ;) Aber dem ein oder anderen in meinem Umfeld wird vermutlich spätestens jetzt klar oder auffallen, dass und weshalb ich mich aus Lästerein was das Äußere eines Menschen betrifft, schon lange lange raushalte ;) ;)

Psychische Nebenwirkungen

Die psychischen Nebenwirkungen nehmen in meinem Leben einen noch viel größeren Raum ein, als das, was jeder sieht. Es sind die Nebenwirkungen, mit denen vor allem ich klar kommen muss. Äußerlichkeiten werden von mir selbst nicht so stark wahrgenommen, weil ich äußerst selten einen Spiegel vor mir herschiebe und mich selbst anschauen muss..
Ich bin ein sehr emotionaler Mensch, in alle Richtungen. Ich bin schnell auf 180 (auch wenn ich es nicht immer sofort rauslasse und mich ganz gut im Griff habe), aber auch genauso kann ich mich sehr gut und ehrlich mit anderen freuen und lasse das raus. Das konnte ich auch weiterhin, aber nicht, wenn es darum ging, wenn jemand seine Schwangerschaft verkündete. Ein Baby zu bekommen, ist eine wunderschöne Sache und eine tolle Nachricht. Deshalb habe ich mich natürlich für jeden gefreut, der diese Nachricht verkünden konnte. Mein Problem: Ich konnte es nicht rauslassen. Meine beste Freundin würde es beschreiben als "Ich freue mich, aber eben mehr so nach innen". Ich kannte dieses Gefühl nicht, denn Gefühle sind eigentlich etwas, was ich rauslasse. Manchmal zu stark und für andere unverständlich, aber eben immer so, dass man mir schon ansehen konnte, wie ich mich fühle. Irgendjemand hat mich mal als "Gefühlsvulkan" beschrieben. Wer das war weiß ich nichtmehr, aber an die Beschreibung kann ich mich noch gut erinnen. Das, was ich fühle, MUSS raus! Das führt dazu, dass ich oftmals einfach so anfange zu weinen oder laut zu lachen. Als Gefühlsvulkan ein Gefühl dann nicht rauslassen zu können, so, als würde der Körper einfach nicht mitspielen, ist schrecklich. Ich war schockiert von mir selbst bzw. meinem Körper und habe mich oft gefragt, was die Menschen wohl von mir halten, wenn ich sage "Ich freue mich für euch", was zwar von Herzen ehrlich ist, aber anhand meines Ausdrucks absolut nicht rüberkommt, gerade bei denen, die wissen, wie emotionsimpulsiv ich bin !? Für mich, als jemand der Gefühle rauslässt (ja, ich wiederhole mich!), die Hölle! Hier habe ich wieder gemerkt, dass mir Schauspielerei nicht liegt und sich nichts erzwingen lässt. Ich habe oft nach der Verkündung einer Schwangerschaft (und gerade in den letzten 1 1/2 Jahren waren das viele) geweint. Nicht, weil jemand anderes ein Baby bekommt und wir nicht, sondern weil ich selbst enttäuscht von mir war und schockiert über die Reaktion meines Körpers darauf. Eine Reaktion die ich von mir nicht kannte. "Nach innen freuen" ist nicht meine Art, ich kann das nicht, aber ich weiß jetzt, wie es sich anfühlt.
Aber die vermutlich größte Nebenwirkung, die sich am meisten auf Andere ausgewirkt hat war, dass ich in vielen Dingen zu einem A*schloch mutiert bin. Ich musste mir die Frage stellen, was "leichter" oder "besser" für MICH ist, um nicht in ein tiefes tiefes Loch zu fallen, aus dem ich dann nichtmehr rauskomme. Ja, ein Stück weit egoistisch, auch so, wie ich absolut nicht bin, aber in dieser Situation war es wirklich dringend nötig! Ist es einfacher für mich damit umzugehen, dass die Menschen mich für ein egoistisches A*schloch halten, das sich (zumindest durch die Augen der anderen betrachtet) nicht für die Schwangerschaft ihrer Bekannten und Freundinnen interessiert, weil sie nicht jeden Tag nachfragt, wie es geht, was das Baby macht und alle Fragen die man eben als Frau normalerweise stellt (und stellen sollte!!) wenn eine Bekannte oder Freundin schwanger ist oder ob es einfacher ist all diese Fragen zu stellen, sich pausenlos von der Schwangerschaft erzählen zu lassen und dann mit diesem kompletten Gespräch im Ohr zuhause zu sitzen und zu heulen, weil es einem erneut vor Augen führt was man für ein Versager ist bzw in welchem Versagerkörper man lebnt. Ich entschied mich für ersteres, denn einem A*schloch erzählt man nichts, wenn es nicht fragt. Auch wenn es viele nicht verstehen, für mich war das die einfachere und vor allem für meine Psyche bessere Lösung. Ich dachte mir, wer auch mit diesem Verhalten und dem nicht pausenlosen nachfragen nach dem Wohlbefinden noch zur mir steht, der ist ein wahrer Freund. Und wisst ihr was? Es trennt sich tatsächlich die Spreu vom Weizen. Die einen checken, dass was nicht stimmt, man nicht darüber reden will und wartet ab und die anderen hinterfragen das Verhalten für sich nicht, sondern wenden sich einfach ab und das ist okay so. Egoistisch es nicht anzusprechen und andere entscheiden zu lassen und vielleicht auch kindisch, aber nicht alle Entscheidungen müssen alle Menschen nachvollziehen können.
Jeder, der in dieser Situation war oder ist weiß, wovon ich spreche und das es garnicht so egoistisch und gemein ist, wie es sich als Person, die keine Ahnung hat, liest. Ich habe im ersten Drittel der ganzen Misere, eigentlich bis zur Überweisung in eine Kinderwunschklinik innerlich von meinem Mann verlangt, dass er mich und mein Verhalten versteht, genau wie von meinem Mitmenschen. Dass das absoluter Quatsch ist, hat mir die nette Ärztin bei unserem Erstgespräch ganz deutlich gesagt. Sie hat gesagt: "Wie soll ein Mann sie verstehen? Er ist ein Mann und keine Frau und er wird niemals verstehen können, wie es sich als Frau anfühlt zu denken, niemals ein Kind bekommen zu können." Und das Gleiche trifft auch auf euch zu. Wie wollt ihr mein Verhalten verstehen können oder nachvollziehen können, wenn ihr nicht in der gleichen Situation steckt? Jemand der "einfach so" schwanger geworden ist, wird niemals verstehen können, wie es eben nicht klappen kann. Dann wird man mit den Worten "Du musst den Kopf ausschalten, dann wird es klappen" konfrontiert. Dieser Satz ist der absolute Standartsatz von unwissenden Menschen, aber wie soll man es jemandem verübeln? Bevor das hier zu lang wird möchte ich nur eins dazu sagen, was jeder auf seine entsprechende Situation anwenden kann.
Es ist oftmals einfacher nichts zu sagen, als wenn die Menschen aufhören etwas zu sagen, wenn du den Raum betrittst.
Stellt euch vor, ich wäre mit dem Thema offen umgegangen, was wäre passiert? Sobald über Babys, Kinder und Schwangerschaft gesprochen worden wäre, wären alle verstummt, sobald ich den Raum betreten hätte und das Beäugen ob es denn vllt jetzt doch endlich geklappt hat, hätte zugenommen. Das Trinkverhalten wäre analysiert worden, ebenso wie jedes Kilo mehr auf den Rippen, dass dann vllt gerade nur von den Tabletten kommt, die ich nehmen muss. Es wäre immer und überall präsent gewesen, dass xy, tz und mn schwanger sind, aber Ariela nicht. Wie es ist, kann jeder verstehen, über den zu unrecht gesprochen worden ist und jeder, der in dieser Situation folgende Sätze gehört hat:
- "xy ist schwanger, dann bist du auch bald schwanger" (<-- Klar, ich plane meine Schwangerschaft nach anderen Menschen. Es passt gerade nicht in mein Leben? Scheiß drauf, xy ist schwanger, also muss ich auch. Das steht so im Gesetz! mn ist noch nicht schwanger? Oh, nee, dann darf ich auch nicht! Hallo!? Gehts noch???? Du kannst keine Kinder bekommen oder willst überhaupt keine? Dann bist du in der Gesellschaft anscheinend falsch, sorry.)
- "Du bist die Nächste" (<-- Und wieso nicht tz oder mn? Nur weil die noch nicht verheiratet sind, noch nicht zusammen wohnen oder weil sie "schon" 30 sind? Wer bestimmt denn, wer. wieso, wann dazu berechtigt ist, ein Kind zu bekommen??)
- "Wieso habt ihr noch keine Kinder?" (<-- Die Ausreden "Ich studiere noch" und "Ich bin noch jung" sind die dümmste Ausrede der Welt. Das Schöne ist, dass es jeder schluckt, ohne darüber nachzudenken! Außerdem widerspricht es meiner Aussage, die ich zu Beginn des Studiums getroffen habe, dass ich mir wünsche, noch während des Studiums ein Kind zu bekommen. Gemerkt hat das aber niemand. Oder einfach nie richtig zugehört. Gott sei Dank)
- "Und für wann plant ihr?" (<-- Könnte man sowas planen, würde unser Kind bereits längst durch den Garten flitzen und mit seinen Freunden spielen!!)
- "Schalt den Kopf aus, dann klappt das schon" (<-- Genau, ich denke nicht mehr nach, dann entscheiden meine Eierstöcke sich nämlich auch dazu völlig ohne Probleme zu funktionieren. Schalt DU deinen Kopf besser mal ein, dann weißt du, was das für eine schwachsinnige Aussage ist!)
- "Wenn es auf natürlichem Wege nicht klappt, dann soll es nicht sein/dann hat Gott es nicht gewollt" (<-- Genau! Deshalb gibt es nämlich alleine in Deutschland knapp 150 Kinderwunschkliniken, die größtenteils mit mehreren Ärzten in einer Klinik arbeiten und bei denen man teilweise Monate auf einen ersten Termin warten muss, weil es nämlich keinen Bedarf gibt und Gott gewollt hat, dass hundertausende Frauen keine Kinder bekommen und die Menscheit somit ausgerottet wird. Gott wollte lieber, dass Teenies ungewollt schwanger werden, als das ein Ehepaar, dass sich von Herzen ein Kind wünscht. )
- "Und wenn es nicht klappt, wollt ihr dann adoptieren?" und "Und was ist mit künstlicher Befruchtung?" (<-- Hierzu möchte ich nicht so viel sagen außer, dass ich über beide Sätze heute genau andersrum denke, als ich es vorher getan habe. Dazu muss sich jeder eine eigene Meinung bilden und das geht nur, wenn man ausreichend informiert und aufgeklärt wurde. Wusstet ihr, dass künstliche Befruchtung nicht bedeutet, dass ein Baby im Reagenzglas heranwächst, sondern es ungefähr 20 verschiedene Methoden gibt, bei dem das Wort "künstlich" eigentlich vollkommen überholt ist?)
Niemand kann was dafür, dass er schwanger ist. Ja okay, klar kann man was dafür ( :D :D :D), aber niemand kann beeinflussen, WANN es klappt! Es sollte sich also niemand das Recht rausnehmen, über Menschen zu urteilen, bei denen es sofort bei einmal nicht aufpassen klappt oder die seit 20 Jahren probieren und alles dafür tun und trotzdem klappt es nicht. Niemand hat sich seine Situation ausgesucht!!
Wie ihr (die mich kennen) vielleicht bei meinen Beschreibungen gemerkt habt, habe ich meine Emotionalität, was das Treffen von Entscheidungen betrifft, verloren. Ich bin abgestumpfter, realistischer, rationaler!
Was das Ganze mit mir gemacht hat, wisst ihr nun. Was es mit meinem Umfeld gemacht hat, könnt ihr hier lesen.